Schriftarten 書体shotai

Es gibt verschiedene Kalligrafiestile, -arten und -formen, die sich im Verlauf der letzten 3000 Jahre gemeinsam mit der Menschheitsgeschichte entwickelt haben. Der Stil spiegelte dabei manchmal die Merkmale der jeweiligen Epoche wider – etwa Trends, die Vorlieben von Herrschern oder oft auch die Neugier der Kalligrafen jener Zeit. »sho« bedeutet: schreiben, Kalligrafie und »tai« bedeutet: Körper, Stil. Während sich verschiedene Formen und Stile ausbreiteten, forderten geschickte Kalligrafen die unzähligen Schichten der Technik heraus und erschlossen die Tiefe der Kalligrafiekunst.

Im Shodō gibt es drei Grundstile, die 三書体sanshotai genannt werden:

Beispiele für sosho, gyosho und kaisho
Beispiel für dieselben Kanji in Sōsho, Gyōsho und Kaisho (v.l.n.r.)

In der Regel beginnt man mit dem Kaisho-Stil und steigt dann zum Gyōsho-Stil auf. Diese beiden sind die am häufigsten geübten Kalligrafiestile. Wenn man beide gemeistert hat, kann man mit dem Sōsho-Stil beginnen. Darauf folgen oft Kana, Reisho und Tensho.

"Traum" yume in den fünf Hauptschriftarten von Eri Takase

Das obige Bild zeigt Beispiele für die wichtigsten Schreibstile von Kanji. Es ist wichtig zu beachten, dass jede dieser Schriftarten keine einzelne, sondern eine Gruppe von Stilen darstellt. Es gibt nicht "die eine" halbkursive Schrift, sondern viele verschiedene. Im obigen Beispiel wird das Zeichen für "Traum" bzw. yume verwendet.

Die Normalschrift ist die am häufigsten verwendete Schriftart für geschriebene und gedruckte Zeichen und wurde daher zur Standardschriftart für Kanji. Aus diesem Grund lernen Kinder in der Grundschule, wenn sie lesen und schreiben lernen, auch Kaisho-Kanji. Hiragana sind einzigartige japanische Zeichen, die aus der Schreibschrift stammen. Daher ähneln seine ursprünglichen Pinselstriche und Formen der Schreibschrift. Damit es sich jedoch mit den Kanji der Normalschrift vermischt, lernen die Schüler Hiragana im Stil der Normalschrift (Hiragana, das mit der Normalschrift verschmilzt), das absichtlich so gestaltet ist, dass es den Pinselstrichen der Normalschrift ähnelt.

Die einzelnen Zeichenzeilen in der Normalschrift werden einzeln geschrieben. Diese Komponenten werden als "Punkte und Striche" bezeichnet. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Punkte und Striche zu schreiben.

Grundstile

Normalschrift / Regelschrift / Blockschrift 楷書kaisho

Jedes Kind in Japan wird zuerst diesen Stil als Grundlage kennen lernen, der übersetzt "korrektes Schreiben" bedeutet. Hier wird jeder Strich in den Zeichen separat geschrieben, der Pinsel wird also abgesetzt. Kaisho ist im Vergleich zu den anderen Stilen eher "eckig" und sehr gut lesbar.

Abb.: Beispiel für Normalschrift Kaisho

Kaisho erfüllt eine ähnliche Funktion wie römische Blockbuchstaben. Während sich das japanische Kaisho leicht vom chinesischen unterscheidet, basiert es sowohl in Form als auch in Funktion hauptsächlich auf dem chinesischen Kaisho-Stil. Der japanische Kaisho-Stil wurde stark von der Sui-Dynastie (581–618) und der folgenden Tang-Dynastie (618–907) beeinflusst. Frühe Beispiele dieses Stils in Japan finden sich vor allem in Inschriften auf Statuen und Tempeln aus der frühen Heian-Zeit (794–1185). Mit der Zeit entwickelte sich in Japan, im Bestreben nach kultureller Eigenständigkeit, eine eigene Form des Kaisho, die teilweise Elemente des Gyosho-Stils übernahm. Der Kaisho-Stil wurde vor allem für das Kopieren des Lotos-Sutras verwendet. Eine zweite Welle der Beeinflussung kam während der Kamakura- (1192–1333) und Muromachi-Zeit (1338–1573), vor allem durch Zen-Mönche, die eine von Zen-Einsicht geprägte Technik entwickelten, die sich vom klassischen Kaisho unterschied.

Abb.: Weitere Beispiele für Kaisho

Kanzleischrift / Schreiberschrift 隷書reisho

Als "offizielle" oder "klerikale" Schrift ist diese oft auf japanischen Dokumenten zu finden. Reisho ersetzte seinerzeit den ursprünglichen Tensho-Stil, da er schneller und einfacher war. Im Vergleich zu den anderen Stilen orientiert sich diese Technik stärker am ursprünglichen Bild, welches die Vorlage für das Kanji-Schriftzeichen war.

Abb.: Beispiel für Kanzleischrift Reisho

Reisho ist ein sehr kraftvoller und ausdrucksstarker Stil der chinesischen Kalligraphie, bei dem die Striche an Anfang und Ende stark übertrieben ausgeführt werden. Sie wurde hauptsächlich während der Han-Dynastie (206 v. Chr.–220 n. Chr.) verwendet. Der Begriff "Reisho" hatte ursprünglich viele Bedeutungen, ist heute jedoch nur noch als eine der fünf Stilrichtungen der chinesischen und japanischen Kalligraphie bekannt. Aufgrund ihres markanten Erscheinungsbilds wird die Reisho-Technik heute hauptsächlich für großformatige Anwendungen wie Schilder, Tafeln, Werkstitel usw. eingesetzt. Auch in Japan war dies ihre Hauptverwendung bis zur Edo-Zeit (1603–1868), als sie als kalligrafische Kunstform geschätzt wurde. Heute wird diese Schrift beispielsweise für Zeitungstitel oder in der Steingravur (z.B. auf Grabsteinen) eingesetzt.

Abb.: Weitere Beispiele für Reisho

Halbkursive Schrift 行書gyōsho

Die halbkursive Schrift (Gyōsho) ist – wie der Name schon andeutet – eine leicht kursive Variante der Kaisho-Schrift. Dieser Stil wurde zeitgleich mit der Reisho-Schrift praktiziert. Es gibt drei Stufen der Kursive, genannt Seigyo, Gyo und Gyoso. Der Gyōsho-Stil zeichnet sich durch eine weichere und rundere Ausführung aus, wobei scharfe Ecken und Winkel vermieden werden. Die Pinsel-Striche laufen sowohl in den Gedanken als auch auf dem Papier rund und flüssig ineinander über.

Abb.: Beispiel für Kursivschrift gyōsho

In Japan wurden viele Werke in der frühen Heian-Zeit mit der Gyōsho-Technik erstellt. Später in der Heian-Zeit, als sich Japan kulturell von China zu lösen begann, entwickelte sich eine japanische Version namens Wayo. Diese japanische Ausprägung der Gyōsho-Schrift wurde sehr populär und bildete die Grundlage vieler kalligrafischer Schulen. Der Erfolg liegt darin, dass sich Gyōsho hervorragend mit sowohl Kanji als auch Hiragana verbinden lässt und ein natürlicher, flüssiger Schreibstil entsteht. Fortgeschrittenere Kalligraphen bevorzugen diese Technik. Ursprünglich diente die Gyōsho-Schrift als schnellere Möglichkeit, Kanji zu schreiben, und selbst heute wird sie gelegentlich von älteren Japanern im Alltag als Form der Kurzschrift genutzt. Der Gyōsho-Stil ist größtenteils für alle Japaner lesbar.

Abb.: Weitere Beispiele für Gyōsho

Gyōsho bezeichnet eine ganze Bandbreite an halbkursiven Schriftarten, die von nahezu blockartig bis fast kursiv reichen können.

夢 (yume)
Beispiel für das Kanji "Traum" yume in verschiedenen Gyōsho-Schriftstilen von Eri Takase

Grasschrift / Kursivschrift / Fließschrift 草書sōsho

Das Wort Sōsho setzt sich aus zwei Kanji zusammen: bedeutet "Gras" und sho bedeutet "Schreiben". Daher wird sōsho oft direkt als "Grasschrift" oder "Grasschreiben" übersetzt.
Für Unerfahrene kaum lesbar, sieht diese Schrift dennoch simpel und ästhetisch aus. Sōsho ist ein wenig wie abstrakte Kunst, bei der die Bedeutung des Geschrieben im Vordergrund steht. Hier wird der Pinsel kaum abgesetzt. Wenn der Kalligraph also ein Gefühl für das Schriftzeichen bekommen hat, wird er es im sōsho optimal auf das Papier bringen können.

Abb.: Beispiel für Grasschrift Sōsho

Die Grasschrift hat ihren Ursprung in der Han-Dynastie. Sie wurde von Schreibern als kursive Variante der Reisho-Schrift zum Notieren verwendet. Frühe Beispiele von Sōsho finden sich auf Bambus- und Holzstreifen. Diese Technik ist leicht zu erkennen an vielen Strichen, die mit einer schwungvollen Bewegung nach rechts oben enden, ähnlich einer brechenden Welle. Gegen Ende der Han-Dynastie entwickelte sich eine neue Form der Sōsho, die jedoch langsamer geschrieben wurde als die bis dahin populäre schnelle Variante. Der genaue Zeitpunkt der Entstehung von Sōsho ist unklar. Einige Texte aus Japan wiesen in dieser Zeit viele Gemeinsamkeiten mit chinesischen Sōsho-Techniken auf, aber erst als Kukai, ein berühmter japanischer buddhistischer Mönch und Gelehrter, in der frühen Heian-Zeit nach China reiste und dort gefertigte Sōsho-Schriften mitbrachte, verbreitete sich der Stil in Japan nachhaltig.

Abb.: Weitere Beispiele für Sōsho

Siegelschrift 篆書tensho

Dieser dekorative Stil wird vor allem für Siegel oder Stempel verwendet und ähnelt eher einem Symbol. Die Linien sind fein, definiert und weich, der Schwierigkeitsgrad ist aber auch entsprechend hoch.

Abb.: Beispiel für Siegelschrift tensho

Zenei (Modern)

Zenei Shodō ist eine moderne, expressive Form der japanischen Kalligrafie, die traditionelle Techniken bricht oder abstrahiert, oft ästhetisch experimentell ist, sich auf Ausdruck, Bewegung und Emotion konzentriert, mitunter schwer lesbar ist, weil Lesbarkeit zugunsten der künstlerischen Wirkung zurücktritt.

Zenei von Hidai Tenrai

甲骨文kōkotsumon - Orakelknochen-Inschriften

Diese Inschriften auf Orakelknochen gelten derzeit als die ältesten bekannten Schriftbeispiele (ca. 1500–1100 v.Chr.). Die frühesten Funde datieren auf das 15. bis 16. Jahrhundert v. Chr. Die Orakelknochen-Schrift wurde nicht immer eingeritzt - manchmal wurden die Zeichen auch mit dem Pinsel geschrieben. Hauptsächlich nutzte man Bambus und Holz als Schreibmaterialien.

鐘鼎文shoteibun - Bronzeinschriften

(ca. 1100–221 v. Chr.) Shoteibun gehören zu einer Gruppe von Schriften, die auf chinesischen Bronzen, wie zum Beispiel auf Ritualgefäßen, anzutreffen sind. Über viele Jahrhunderte hinweg wurden Bronzeartefakte mit chinesischen Schriftzeichen versehen und sie sind an vielen Orten Chinas zu finden. Die Schriftzeichen der Bronzeinschriften sind manchmal unregelmäßig in ihrer Gestalt, d. h., sie sind sowohl in ihrer Form als auch in ihrer Größe nicht so regelmäßig gebaut und so regelmäßig angeordnet wie in einer modernen Schrift.

金文kinbun - Texte auf Metall

Der kursive und zugleich kraftvolle Stil der Tensho-Schrift eignete sich besonders für Buchtitel und wurde zudem zur Grundlage für die Gestaltung von Siegeln. Diese Tradition, Tensho für Titel zu verwenden, ist bis heute beliebt. Die Schrift besitzt noch einen bildhaften Charakter und weist zugleich eine strukturiertere Komposition auf als 金文 KINBUN (Texte auf Metall).

Daiten 大篆 - Große Siegelschrift
Shoten 小篆 - Kleine Siegelschrift

雑体書zattaisho - Ornamentale Schrift

Hauptsächlich ornamentale Varianten der Siegelschrift (Tensho) und der Kanzleischrift (Reisho).

Kana

Kana verlangt vom Künstler ein tiefgehendes Verständnis der Kursivschrift (Sosho). Darüber hinaus erfordert Kana große Kontrolle über den Pinsel, der nur mit den Fingerspitzen am Ende des Schafts gehalten wird – durch die sogenannte "hängender Arm"-Technik (懸肘, Kenwan), bei der der Ellbogen in der Luft schwebt. Da Kalligraphie mit der äußersten Spitze des Pinsels geschrieben werden sollte, kann schon eine mikroskopisch kleine Bewegung des Handgelenks das Erscheinungsbild der Linie stark verändern. Das Studium von Kana und Kanji sind in der Kalligraphie in der Regel getrennte Disziplinen. Die Beherrschung beider ist äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich - und beansprucht ein ganzes Leben. Das bekannteste Werk in Kana – und zugleich der erste Roman, der in Kana geschrieben wurde - ist "Die Geschichte vom Prinzen Genji", zugeschrieben der japanischen Adeligen Murasaki Shikibu (ca. 973 – ca. 1014).

Bokuseki - Zen-Kalligraphie

Bokuseki (wörtlich: "Tintenspuren") ist eine Kalligraphie oder abstrakte "Tintenmalerei", die von Zen-buddhistischen Mönchen in einem Zustand tiefer Meditation geschaffen wird. Die Geschichte der Zen-Kalligraphie reicht zurück bis in die Zeit von 618 bis 1279 n. Chr. Das Konzept der Zen-Kalligraphie geht weit über reine Kunst hinaus und ruft tiefgreifende spirituelle Erfahrungen hervor. Der Kalligraf tritt in einen Zustand des Mushin (無心, wörtlich "leeres Herz"), was als "frei von störenden Gedanken" beschrieben wird. Geschrieben mit einem von allen Verzerrungen befreiten Geist, wird die Kalligraphie selbst zur Leere (kuu – "die Leere", das höchste Element in der japanischen Theorie der fünf Elemente, Symbol für völlige Losgelöstheit). → Entwickelte sich weiter zur avantgardistischen Kalligraphie, auch bekannt als »zen-ei shodō«.

写経shakyō - Sutra-Kalligraphie

Die Praxis des Abschreibens buddhistischer Sutras wird im Japanischen »shakyō« genannt. Es handelt sich dabei um eine tugendhafte Form der Shodō-Praxis. Sutra-Abschriften sind ursprünglich eine religiöse Praxis im Buddhismus und stellen eine besondere Ausdrucksform der japanischen Kalligraphie dar. Es ist die Kunst, einen buddhistischen Sutra mit Achtsamkeit zu schreiben – und sie vereint die Ideale des wahren Shodō. Shakyō bringt Körper und Geist in Einklang, und durch diese Integration kann Kreativität frei fließen. Die buddhistische Praxis des Shakyō dient dazu, den Weg Buddhas unter den Menschen zu verbreiten. Sie kann auch als Gebet für die Erfüllung des innigsten Wunsches verstanden werden. Heutzutage wird Shakyō jedoch nicht nur zu religiösen Zwecken praktiziert – viele Menschen nutzen es zur Selbstreflexion oder zur Förderung geistiger Ausgeglichenheit durch achtsames Schreiben der heiligen Schriften. Dabei spielt es keine Rolle, ob man dem Buddhismus angehört oder ob man schön schreiben kann – Shakyō ist vergleichbar mit Meditation.

江戸文字edomoji

Edomoji umfasst sieben verschiedene Schriftformen. Diese wurden hauptsächlich für Werbezwecke wie Plakate, Handzettel, Veranstaltungsprogramme und Namensschilder erfunden und weiterentwickelt. Besonders häufig fand Edomoji Anwendung im Rakugo und im Kabuki-Theater während der Edo-Zeit (ab 1603).

提灯文字chochinmoji

Man findet sie auf Papierlaternen vor Restaurants und Verkaufsständen. Diese Papierlaternen heißen Chōchin. Die Schriftzeichen werden kalligrafisch auf die hängenden Laternen geschrieben. Dieser Stil wird verwendet für Teehäuser, Bars, Imbissstände und Ladenschilder.

髭文字higemoji

Die Zeichen tragen kleine "Schnurrhaare" – auf Japanisch »Hige« –, daher der Name. Dieser Stil wird bei Schildern von Kakigōri-Läden (Eis mit Sirup) verwendet und ist auch ein gängiger Schriftstil bei Sake-Geschäften.

籠文字kagomoji

Der Name bedeutet wörtlich "Käfig-Buchstaben". Die Schriftzeichen sind dick und haben eine quadratische Form. Sie werden oft in gespiegelter Form oder als Umrissschrift verwendet.

角字kakuji

Dies ist ein sehr schwerer, rechteckiger Schriftstil, der für die Anfertigung von Siegeln verwendet wird. Er wirkt sehr abstrakt und grafisch.

勘亭流kanteiryū

Dieser Stil wird auch einfach Kantei oder Shibaimoji genannt. Er ist stark mit Bühnenkünsten wie Kabuki und Rakugo verbunden. Erfunden wurde er von Okazakiya Kanroku (岡崎屋 勘六). Der Name des Stils leitet sich von Okazakis Spitznamen "Kantei" ab.

相撲文字sumōmoji

Der Schriftstil Sumōji oder auch Chikaramoji wird für Sumō-Plakate, Werbematerialien und Turnierprogramme verwendet.

寄席文字yosemoji

Der Name Yosemoji bedeutet wörtlich "Schrift für Yose" – was sich auf ein japanisches Varietétheater bezieht und zugleich "Kunden anziehen" bedeutet. Es handelt sich um eine Kombination aus Kanteiryū und Chōchinmoji. Der Stil wurde für Plakate und Flugblätter verwendet, ebenso bei Rakugo-Aufführungen, auf Nafuda-Namensschildern und Nobori-Fahnen. Im Gegensatz zu anderen kalligrafischen Stilen erlaubt und fördert Yosemoji den Einsatz mehrerer Pinselstriche, um die Zeichen möglichst vollständig auszufüllen. Deshalb galt Yosemoji oft als glücksbringend und wohlstandsfördernd.