Eine Neujahrskalligraphie in Japan nennt man auf Japanisch 書き初め, was wörtlich "erstes Schreiben" bedeutet. Es ist eine traditionelle Aktivität, die meist am 2. Januar stattfindet und bei der Menschen – früher vor allem Gelehrte und Schüler, heute oft auch Kinder in der Schule – mit Pinsel und Tusche ein Schriftstück anfertigen. Typische Inhalte sind:
Manche schreiben sogar im Freien, etwa bei besonderen Veranstaltungen oder Wettbewerben. Früher hieß es, dass man das Schreiben mit Blick nach Süden und bei Sonnenaufgang beginnen sollte, um Glück zu bringen. Nach dem Schreiben werden die Werke oft aufgehängt oder beim Ritual どんど焼き im Januar verbrannt. Angeblich steigen die Wünsche dann mit dem Rauch in den Himmel.
Ursprünglich stammt die Neujahrskalligraphie aus höfischen Ritualen der Heian-Zeit (794–1185). Damals war das Schreiben am Jahresanfang kein rein künstlerischer Brauch, sondern Teil einer formalen Neujahrszeremonie am Kaiserhof: Gelehrte und Hofbeamte verfassten an den ersten Tagen des neuen Jahres Gedichte in chinesischen Schriftzeichen, oft mit Wünschen für eine gute Regentschaft, Frieden und eine reiche Ernte. Diese Gedichte waren politisch und spirituell bedeutsam – man glaubte, dass das erste geschriebene Wort des Jahres das Schicksal beeinflussen könne. Der Kaiser selbst schrieb oder diktierte manchmal einen Text, der als gutes Omen für das ganze Land galt.
Über die Jahrhunderte verlagerte sich der Brauch von der Elite zum Volk: In der Edo-Zeit (1603–1868) übernahmen Samurai und Gelehrte die Tradition. Später wurde es auch Teil des Schulunterrichts, damit Kinder nicht nur Schönschrift übten, sondern auch Neujahrswünsche formulierten. Selbst heute steckt in Kakizome noch dieser Gedanke, dass das erste geschriebene Zeichen den Ton für das Jahr setzt.